Im Gespräch: Marius Seitz über seine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger

Die Lebenshilfe Tübingen bildet seit einigen Jahren auch aus! Heute erzählt uns Marius über seine Ausbildung bei uns in der Lebenshilfe, seine Motivation für diese Tätigkeit und seinen Alltag.

Die Heilerziehungspflegeausbildung ist eine kombinierte sozialpädagogisch-pflegerische Ausbildung, die für die ganzheitliche Unterstützung von Menschen mit Behinderung qualifiziert. Das Spektrum der Kenntnisse der Ausbildung ist breit gefächert. In der Lebenshilfe Tübingen e.V. wird darauf Wert gelegt eine allumfassend angelegte Ausbildung zu absolvieren, die verschiedene Themen durchläuft. Hierbei steht das Lernen in verschiedenen Bereichen, u.a. Wohnen, Freizeit & Bildung, sowie Berufliche Bildung, im Vordergrund. Die Ausbildung dauert drei Jahre.

 

Marius, schön, dass Du so spontan für ein Interview zugestimmt hast. Du machst hier in der Lebenshilfe Tübingen Deine Ausbildung. Stell Dich doch mal kurz vor.

Hi, ich bin Marius, 27 Jahre alt und inzwischen auch schon im letzten Jahr meiner Ausbildung bei der Lebenshilfe. Nach dem Abi durfte ich anderthalb Jahre FSJ bei der Göppinger Lebenshilfe absolvieren. Danach bin ich nach Tübingen gezogen, um Musik- und Empirische Kulturwissenschaft zu studieren, und jetzt bin ich hier.

 

Was war deine Motivation dich für die Ausbildung als Heilerziehungspfleger zu bewerben?

Gegen Ende des Studiums stand so langsam die Frage an, wohin es danach gehen soll. Aus meinem Studium hat sich keine berufliche Perspektive entwickelt. Neben verschiedenen anderen Ideen habe ich mich an mein FSJ zurückerinnert. Dadurch war die Heilerziehungspflege so ein bisschen in der Favoritenposition. Daraufhin habe ich mich bei der Lebenshilfe als Zusatzkraft im Bereich Wohnen beworben – einerseits, um während der Bachelorarbeit ein bisschen Geld zu verdienen, und andererseits, um herauszufinden, ob ich das wirklich machen möchte. Und den Entschluss habe ich dann ziemlich schnell gefasst.

 

Wie lange dauert Deine Ausbildung?

Die Ausbildung dauert insgesamt drei Jahre. Sie besteht zu zwei Dritteln aus dem praktischen Teil bei der Lebenshilfe und einem Drittel Schulzeit beim Diakonischen Institut. Der Wechsel findet blockweise statt und kommt meistens auch ganz passend. Wenn man nach drei Wochen Schule langsam genug Input hat, darf man also auch wieder grob sechs Wochen bei der Lebenshilfe arbeiten.

 

Muss man bestimmte Voraussetzungen für diese Ausbildung zum Heilerziehungspfleger mitbringen?

Offizielle Voraussetzungen sind einerseits ein Realschulabschluss und andererseits praktische Vorerfahrungen im sozialen Bereich. In welchem zeitlichen Umfang man da schon Erfahrungen gesammelt haben muss, kann man genauer auf der Homepage des Diakonischen Instituts nachschauen. Und rein menschlich sind so Dinge wie Sozialkompetenz, Empathie und Flexibilität sicher auch sehr wichtig.

 

Welche Vorstellungen hast Du im Vorfeld von der Arbeit der Lebenshilfe gehabt?

Während des FSJs konnte ich ja schon Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung sammeln. Das war allerdings auf einer stationären Wohngruppe. Meine Ausbildung findet hauptsächlich im Bereich Wohnen statt, da erfolgt die Unterstützung ausschließlich ambulant. Das bedeutet, dass wir die Assistenznehmer*innen zeitweise in ihren eigenen Wohnungen besuchen und sie den Rest ihres Alltags selbstständig verbringen. Diese Art der Unterstützung war mir komplett neu. Und dann hatte ich noch so absurde Vorstellungen, dass im regulären Arbeitsleben der Arbeitsbeginn halt um 8 Uhr ist. Das ist in meinem Fall zum Glück nicht so, sondern viel flexibler.

 

Beschreib uns doch mal was Du bisher in Deiner Ausbildungszeit alles gemacht hast.

Das ist ziemlich vielfältig. Die Lebenshilfe hat verschiedene Bereiche und Angebote, die ich schon begleiten durfte. Der Bereich Wohnen macht vor allem Spaß, weil man die Personen langfristig begleitet. Hier habe ich zum Beispiel schon einige Umzüge begleitet und dann dabei mitgeholfen, dass sich die Personen in ihrem neuen Wohnumfeld zurechtfinden. Das war eigentlich jedes Mal aufs Neue sehr interessant. Die tägliche Arbeit liegt dann vor allem darin, Menschen bei der Haushaltsführung zu unterstützen. Ein Teil der Aufgaben ist auch, verschiedene Anträge auf finanzielle Unterstützung zu stellen und Berichte über den aktuellen Stand der begleiteten Personen zu schreiben. Zwischendurch findet dann auch mal ein Grillabend oder ein Museumsbesuch statt. Das ist ganz davon abhängig, wofür sich die jeweilige Person begeistert. Über allem steht aber immer unser Leitziel, jeder Person nach ihren Wünschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Im Bereich Freizeit und Bildung habe ich auch schon einige Zeit verbracht. Da habe ich zum Beispiel schon in großer Runde Silvester gefeiert, war eine Woche lang bei einem Urlaub am Bodensee dabei und habe eine Wochenendreise nach Freiburg begleitet, wo wir zusammen einen Club aufgemischt haben.

 

Eine Ausbildung gerade in der langen Pandemiezeit zu absolvieren ist bestimmt auch für Dich nicht einfach. Wie empfindest Du diese Zeit bzw. was sind die Herausforderungen für Dich dabei?

Ich gehöre glücklicherweise zu den Personen, die von den negativen Folgen der Pandemie weniger betroffen sind. Das liegt sicher auch an der Lebenshilfe. Es gab ja keine Zeit, in der meine Arbeit grundsätzlich anders war als davor. Dadurch komme ich noch oft genug unter Leute, seien es Kolleg*innen oder die Personen, die ich in ihrem Alltag begleite. Die Lebenshilfe unterstützt Menschen unter anderem bei der gesellschaftlichen Teilhabe. In dem Fall hat sich der Spieß umgedreht und die Arbeit hat mir dazu verholfen, dass ich trotz Pandemie weiterhin Teil des gesellschaftlichen Lebens sein kann.

 

Was hast du von deiner Ausbildung erwartet und haben sich deine Wünsche erfüllt?

Meine Hoffnung war, dass ich in der Eingliederungshilfe eine berufliche Perspektive finde, die mir langfristig Spaß macht. Der Wunsch hat sich Stand jetzt erfüllt. Von der Ausbildung selbst habe ich erwartet, dass sie mich auf die verantwortungsvolle Rolle als Fachkraft vorbereitet. Ich denke, dass ich da auf einem ganz guten Weg bin. Zwischendurch musste ich einsehen, dass ich innerhalb der drei Jahre nicht auf alles vorbereitet werden kann. Es wäre aber auch schlimm, wenn ich nach der Ausbildung alles gelernt hätte und nichts Neues mehr passieren würde.

 

Was hat Dir bei Deiner Ausbildung am meisten Spaß gemacht?

Ich glaube das sind für mich die kleinen Sachen im Umgang mit den Personen, die ich begleite. Sei es aufrichtige Freude, ein lustiger Spruch oder eine total unkonventionelle Herangehensweise an eine Sache. Das eröffnet einem immer wieder ganz neue Perspektiven. Es ist natürlich auch super, wenn man beobachtet, dass eine Person Fortschritte macht und Schwierigkeiten überwindet. Dadurch merkt man, dass man einer richtig sinnvollen Arbeit nachgeht.

 

Und natürlich darf auch die Frage nicht fehlen: was hast Du nicht so gerne gemacht?

Naja, wenn man davor das Studentenleben gewohnt war, sind Frühdienste natürlich erst mal hart. Freiwillig würde ich kurz vor sechs nicht aufstehen. Aber es gehört halt dazu und hat auch seinen ganz eigenen Charme, wenn man nach Frühdienstende um acht Uhr schon was geleistet hat, aktiviert ist und der ganze Tag noch vor einem liegt.

 

Was macht die Lebenshilfe zu einem guten Ausbildungsbetrieb?

Auf jeden Fall die Flexibilität, mit der ich meine eigene Arbeit gestalten kann. Häufig kann ich den Zeitpunkt der Assistenztermine frei mit der jeweiligen Person mit Unterstützungsbedarf planen. Meine Bürozeiten kann ich mir bis zu einem gewissen Grad auch selbst einrichten. Damit hängt auch das selbstständige Arbeiten zusammen. Ich durfte von Anfang an die aktive Rolle im Kontakt mit den unterstützten Personen einnehmen. Dadurch, dass ich direkt so viele praktische Erfahrungen sammeln konnte, konnte ich optimal Fortschritte machen und habe meinen eigenen Stil im Umgang mit den unterstützten Menschen gefunden. Gleichzeitig wurde ich natürlich auch gut angeleitet und hatte immer die Möglichkeit, Rücksprache zu halten.

 

Was nimmst Du für Dich persönlich aus Deiner Ausbildungszeit mit?

Ich habe durch die Ausbildung sehr viele Dinge gelernt, die ich in meinem Alltag praktisch anwenden kann, egal ob es ums Kochen, Behördengeschichten oder auch abstrakter um Gesprächskompetenz und Menschenkenntnis geht. Eine andere Sache ist, dass ich die verschiedensten Leute kennengelernt habe. Das war gut, um mich aus der studentischen Bubble rauszuholen und stärker die Vielfalt der Gesellschaft zu erleben.

 

Was würdest du einem neuen Azubi mit auf den Weg geben?

Viel Spaß! Es werden viele lustige und spannende Dinge passieren.

 

Liebe Marius, vielen herzlichen Dank für die Zeit die Du Dir für das Interview genommen hast! Wir drücken Dir für den Abschluss ganz fest die Daumen !

Das Interview führte Johanna Kreutmayr, Öffentlichkeitsarbeit der Lebenshilfe Tübingen e.V.

 

Haben wir Eurer Interesse an einer Ausbildung in der Lebenshilfe geweckt? Dann bewerbt Euch bei uns - aktuell bieten wir zwei Ausbildungsplätze in Heilerziehungspflege (m/w/d) an. >> mehr Informationen

 

Weitere Interviews aus unserer Reihe "Im Gespräch":

>> Katja Seibold, Koordination Ehrenamt

>> Agnes Braun-Conzelmann und Rita Fink, Bereich Wohnen

>> Antonie Platz (Geschäftsführung ), Anlässlich ihrer Verabschiedung in den Ruhestand

>> Antje, Ehrenamtliche bei der Lebenshilfe